(POST)PANDEMISCHE VISIONEN
Zusammenhalt ist Kunst – das zeigt sich umso mehr in Zeiten, in denen wir in unseren alltäglichen Gewohnheiten so heftig aus der Bahn geworfen werden. Das zu Beginn der Pandemie großartige Gefühl der Solidarität innerhalb der Gesellschaft lässt umso spürbarer nach, je Pandemie-müder die Menschen werden. Ein kleines bisschen davon wieder aufleben zu lassen war uns Ansporn zur Ausrichtung dieses Wettbewerbs.
Gerade für Künstler*innen bringt die Corona-Krise harte Auswirkungen und Einschnitte. Die Unterstützung lokaler Kunstschaffender war schon immer ein Anliegen von Südlich vom Ochsen, daher haben wir ein Preisgeld von 1.750 € ausgelobt für einen Kunstwettbewerb, an dem sich alle Marbacher Künstler*innen beteiligen konnten. Das Thema des Wettbewerbs: (Post)Pandemische Visionen. Die Jury hat getagt, die Ergebnisse stehen fest, und wir freuen uns nun, auf dieser Seite die Wettbewerbsarbeiten zu präsentieren.
Doch vorab muss noch gesagt werden:
Liebe Künstler und Künstlerinnen, danke für eure Teilnahme und euer Engagement! Wir freuen uns riesig über die große Resonanz und die vielen wunderbaren Arbeiten. So haben wir uns das gewünscht. Es ist großartig zu sehen, wieviel Kreativität in Marbach zu Hause ist. Danke euch allen!
Die Jury hat in zwei Runden getagt, gesichtet, überlegt, diskutiert und gerungen, um dann zu einem überraschenden Ergebnis zu kommen: Wir haben drei erste Preisträger! Diese drei Wettbewerbseinreichungen haben jeweils die gleiche Punktzahl in der Wertung bekommen – und so teilen sie sich nun den ersten Preis. Herzlichen Glückwunsch!
Prämierte Werke
Re-Connect I Jan Dages & Nadine Heinkel: LuxArt – Performancekunst
In drei Akten regen wir an, in der aktuellen Isolation in sich zu gehen, um dann achtsam und selbstbestimmt seine Vision nach außen zu tragen, gemeinsam Grenzen zu überwinden und Neues zu schaffen.
Jan Dages & Nadine Heinkel: LuxArt – Performancekunst. Als Artisten-Duo ist es unsere gemeinsame Passion mit modernem Circus, verknüpft mit Tanz und Performancekunst, Menschen zu berühren, zu inspirieren und zu verzaubern. Mehr über uns: artistik-feuershow.de/
Statement der Jury
Die Video-Performance Re-Connect katapultiert uns im 1. Akt mitten ins Thema Lockdown und soziale Isolation, höchst akrobatisch interpretiert. Im 2. Akt folgen wir den beiden Performern in eine Unter- und Innenwelt voll Höllenfeuer, magischer Metamorphosen und animalischer Retroflexionen, um im 3. Akt die tänzerisch-lustvolle Selbstbefreiung in der Natur zu erleben: mit beherztem Niederreißen trennender „Wände“, der Entdeckung eigener Energien, mit wechselseitiger Inspiration und berührendem Miteinander.
Die Jury meint: Im Video werden die Erfahrungen in der Isolation sowie die postpandemische Vision eines freudvoll-kreativen Miteinanders überzeugend erfahrbar gemacht. Zu den tänzerischen und akrobatischen Qualitäten des Performer-Duos kommt der kluge Aufbau von Re-Connect, eine überlegte Farb- und Bildsprache und eine interessante filmerische Umsetzung. Die musikalische Unterlegung mit „Great Expectations“ (Kai Engel), die Charakter und Atmosphäre der drei Akte unterstreicht, sorgt für passende emotionale Verstärkung.
Blue Coat I Rebecca Tonet
Textilarbeit, blaue Seide, 30 x 30 x 30 cm (Träger: Edelstahlkugel).
Die Künstlerin zieht einen Vergleich zwischen der Corona-Pandemie und dem Klimawandel. Beide Probleme haben ein globales Ausmaß und gefährden die kollektive Gesundheit bzw. das kollektive Überleben. Sie kritisiert jedoch, dass auf den Virus deutlich schneller reagiert wurde als bisher auf den Klimawandel. Mit ihrem Werk möchte sie auf den Wert unseres Planeten aufmerksam machen. Der blaue Mantel steht für die für uns so wertvolle Hülle aus Wasser und Luft, die unsere Erde umgibt. Die verbindenden Elemente, die fünf Reißverschlüsse, stehen für die Verbindung zwischen den Menschen der fünf Kontinente. Ohne einen globalen Zusammenhalt können globale Probleme, wie die Pandemie oder der Klimawandel, nicht gelöst werden.
Rebecca Tonet: geboren am 04.07.1980 in Stuttgart, Mutter von drei Kindern, Fremdsprachenkorrespondentin, Künstlerin und angehende Lehrerin. (Noch studiert sie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg die Fächer Kunst und Englisch.)
Statement der Jury
Das Kunstwerk ist vielschichtig: Im Ergebnis ist blue coat eine aus blauer Seide genähte Kugel, die sich wie eine Apfelsine mittels vier Reißverschlüssen in fünf Teile „schälen“ lässt, worunter eine silberne Kugel sichtbar wird. Mit diesem Kunstwerk ist eine Erzählung verbunden: die vom blauen Planeten Erde mit seinen fünf Kontinenten, dem der Klimawandel zusetzt, der wiederum wegen der Pandemie aus dem Gesichtsfeld geraten ist. Mit ihrem Kunstwerk im blauen Seidenmantel betont die Künstlerin die Kostbarkeit der Erde. 13 Fotos zeigen die Kugel professionell in unterschiedlicher „Schälung“ und Perspektive, wobei auch die Künstlerin selbst in der Spiegelung erscheint. Dazu kommen Handyfotos, die den Prozess der Arbeit an blue coat sichtbar machen.
Die Jury meint: Eine handwerklich professionelle Arbeit, die uns in ihrer Originalität, gekonnten Präsentation und gedanklichen Reife überzeugt. Die konkrete Umsetzung dieses komplexen Themas mit der Nähmaschine erscheint auch deshalb so passend, weil die Zerstörung des blauen Planeten durch menschliche Gedankenlosigkeit, Gewinnstreben und Rücksichtslosigkeit mit Händen zu greifen ist. Es ist wieder die Pandemie, die nicht nur weitere Anstrengungen in Sachen Klimawandel verhindert, sondern auch unseren Impuls, die Haptik der Kugel zu spüren, die Reißverschlüsse zu öffnen und wieder zu schließen und unserem Spieltrieb Lauf zu lassen.
Desire for Freedom I Liv Evert
Die Einschränkungen des letzten Jahres gehen an niemandem vorbei. Natürlich auch nicht an uns Jugendlichen. Normalerweise wäre jetzt eine Zeit, in der wir immer mehr Freiheiten hätten, neue Erfahrungen sammeln und immer wieder Anderes entdecken würden. Aber die Flügel der Jugend sind seit einem Jahr gekürzt.
Liv Evert: Ich bin Liv, 16 Jahre alt und Schülerin am Friedrich-Schiller-Gymnasium. Ich male und zeichne gerne. Und was ich niemals geglaubt hätte: Ich freue mich darauf, wieder in die Schule zu gehen.
Statement der Jury
Das Gemälde zeigt das Halbporträt eines Engels in ungewöhnlicher Perspektive und Farbgebung. Engel in der Kunst gibt es in vielfacher Variation, aber so ein Exemplar ist uns noch nicht begegnet: kaffeebraun an Rumpf und Armen und beinahe pelzig anmutend, dunkler und zottelig-fleischig die Flügel. Helle Lichtflecken an Schultern und vor allem an Hals und Kopf, wobei das Helldunkel des markanten Gesichts in der Untersicht den irritierenden Eindruck eines Zwitterwesens im weißen Negligé noch verstärkt.
Die Jury meint: Mehr Emotion geht kaum. Das Unglück und vergebliche Aufbäumen der Jugend im unendlich scheinenden Lockdown gehen unmittelbar unter die Haut. Die blutig gestutzten Flügel verhindern die jugendlichen Höhen- und Weitflüge (mitsamt Abstürzen), die so wichtig sind. Unmöglich gemacht ist auch der ganz normale Alltag mit den Freunden, mit Spiel und Sport, mit Schule und Ausflügen. Kleinere malerische Mängel in Desire for freedom erscheinen nicht als Defizite, sondern verstärken den Eindruck einer durch langen Verzicht misshandelten Jugend, der die Flügel so zugerichtet wurden, dass die späteren Narben jetzt schon zu ahnen sind.
Zusammenhalt ist Kunst – das Motto unseres Wettbewerbs. Gelebtes Beispiel dafür ist der Stadtmarketingverein Marbach, der spontan alle nicht prämierten Teilnehmer*innen mit jeweils 100 € unterstützt. Welch großzügige Geste!
Danke schön!!
AUSSTELLUNG DER WETTBEWERBSTEILNEHMER
Die Präsentation der Kunstwerke erfolgt in alphabetischer Reihenfolge der Künstler*innen, und stellt keine Wertung der Jury dar.
Preikestolen/Norwegen I Regina Deppe
Acrylfarbe mit Holz und Lavasand. Größe 80 x 100 cm.
Norwegen war unserer Urlaubsziel für 2020. Durch Corona konnten wir die Reise nicht verwirklichen. So musste ich meine Urlaubssehnsucht gestalterisch umsetzen. Das Bild zeigt den Preikestolen und den Blick über den Lysefjord.
Regina Deppe: Ich male und zeichne seit meiner Kindheit. Der Acrylmalerei widme ich mich seit 2005. Ich nahm an verschiedenen Ausstellungen im Rathaus Marbach, im Seniorenstift und im Kleeblatt Erdmannhausen sowie beim Kunstverein Stuttgart teil.
Metamorphose – Fremde Heimat I Jana Elzenbeck
Eine Vision des surrealen Gefühls der sogenannten „neuen Normalität“ und die damit verbundene Verwandlung.
Ein Tagebuch in Bildform zur Zeit der Pandemie.
Jana Elzenbeck: Ich male was sich vor meinem inneren Auge visualisiert und eine starke Präsenz erlangt. Eine freie Welt, mit eigenem Farbcode, mittels dem ich zur reinen Bildwirkung eine Metaebene einflechte.
Pandemische Visionen I Susanne Feix
Der Schädel eines Rehs schwebt auf lichtvollem Grund zwischen kreativem Chaos, kraftvollen Visionen und Halt gebender Ordnung. Was vergeht, was wird bleiben? Wie wird das Neue aussehen? Ausgang offen.
Susanne Feix: Mein künstlerisches Werk umfasst Zwei- und Dreidimensionales und zeichnet sich durch Vielseitigkeit aus. Themen: Natur und Vergänglichkeit, Harmonie und Schönheit, Chaos und Ordnung und vieles mehr.
Poison Room I Felix Gschwind und Daniela Bellin
Poison Room beleuchtet die Chancen eines Lockdowns: Plötzlich hat man so viel Zeit, sich selbst zu optimieren. Diese Selbstoptimierung ist aber am Ende doch selbstzerstörerisch und überfordernd.
Felix Gschwind und Daniela Bellin: machen seit mehr als 16 Jahren zusammen Musik unter dem Bandnamen „Sightwinder“. Sie haben mehrere CDs produziert und spielten vor Zaz (KSK Music Open Ludwigsburg).
Lebhafte Mimik I Sandrina Karl
Ich freue mich, die Mimik der Menschen wieder sehen zu können.
Wie oft hat schon ein freundliches Lächeln eines Fremden den Tag bereichert?
Sandrina Karl: (*1998) hat während des Lockdowns die Leidenschaft zum Zeichnen und zur Kunst wiederentdeckt. Seitdem kreiert sie viele Kunstwerke in unterschiedlichen Stilen und Materialien.
Tanz der Freiheit I Anna-Lena Keller
Corona setzt uns Künstlern nicht nur Masken auf, es fesselt auch Füße, Hände & Träume. Shows, Turniere, Trainings. Alles fällt weg. Ich freue mich darauf diese Fesseln bald wieder ablegen zu dürfen.
Anna-Lena Keller: Ich bin eine Vollbluttänzerin. Mein Traum vom Irish Dance begann schon mit fünf. Aber ich tanze nicht nur Irish sondern viel mehr und darf Tanzen unterrichten und ehrenamtlich im Tanzsport aktiv sein.
Life Will Start Again (Generation C) I Jo Kieferle (IAN KEY)
Der Song stellt das bis vor kurzem undenkbare Ableben der Kultur unter der Covid-Pandemie dar. Aber auch die Hoffnung auf einen guten Ausgang. Dass uneingeschränktes Leben und Kultur wieder möglich werden.
Jo Kieferle (IAN KEY): Geboren in Marbach. In zahlreichen Bands in BW gespielt. Größter Erfolg Nominierung des Musikvideos „Story of Rose“ für den Landesmedienpreis BW. Gitarrist, Songwriter, Konzertveranstalter und Arzt.
Hoffnung I Katrin Köhler
Emaillekunst in der Technik des Stegemailles, Sterlingsilber mit opakem Feueremaille, dreiteilig, ca. 42 x 42 mm große Emailleplatten.
Zum Thema „Corona“ musste ich nicht viel nachdenken, was ich erschaffen könnte. Bedrückendes oder Trauriges kam für mich nicht infrage… schnell war mir klar, dass ich ein Gefühl zum Ausdruck bringen möchte, das mich schon fast seit einem Jahr durch mein coronageplagtes Leben trägt: HOFFNUNG.
Katrin Köhler: Ich bin Goldschmiedemeisterin und Schmuckgestalterin. Seit über 20 Jahren arbeite und experimentiere ich mit dem Werkstoff Emaille und fertige in meiner Werkstatt in der Marbacher Altstadt.
Irgendwie immer da I Tina Krepela
Wir Menschen machen nach der Pandemie, was wir schon immer gerne gemacht haben. Wir werden die leeren Gassen wieder bevölkern. Und wieder unbeschwert zusammen sein. Möglicherweise können wir es bewusster genießen – zumindest eine Zeitlang. Bis wir wieder vergessen haben. Dann wird es so sein, als wäre nichts gewesen.
Tina Krepela, Jahrgang 1968, hat AV-Mediendesign an der Lazi Akademie studiert. Seit 1994 ist sie mit Gestaltung von Medien, Schwerpunkt visuelle Kommunikation, selbständig. Heute lebt sie in Marbach am Neckar und realisiert Aufträge für Unternehmen – häufig Internetauftritte. Weitere Informationen zu Tina Krepela und ihren Arbeiten sind im Internet unter www.krepela.de zu finden.
Stadtverwaldung I Beate Ludwig
Mobileartiges, interaktives Bewegungs- und Sprachobjekt 2021. Aus Folie genähte Buchstaben des Wortes: WALD.
Video: Besuch des Stadtverwalders im Parkhaus Marbach. Gemeinschaftsprojekt mit Uli Eberhardt.
Beate Ludwig: Bildhauereistudium, Kunstakademie Stuttgart. Lebt und arbeitet in Marbach. Aktueller Schwerpunkt: interaktive Kommunikationsobjekte, clowneske Inszenierungen.
Tänzerin ohne Publikum, 2020 I Christel Schmid
60 x 80 cm, mit Acryl und verschiedenen Strukturpasten gemalt.
Das Bild stellt die Situation der Kulturlandschaft während der Lockdowns dar. Die Künstler stehen bereit, die Zuschauer fehlen.
Christel Schmid: Ur-Marbacherin, 61 Jahre, FSG, Bibliothekarin. Berufsleben als Projektmanager Automobilentwicklung abgeschlossen. Politisch und ehrenamtlich aktiv. Vor vier Jahren begann ich zu malen. Heute vergeht kein Tag ohne…
Yvonne schweigt / Episoden einer Quarantäne I Leah Wewoda
Statt zu warten, dass Theater wieder „normal“ stattfinden kann, ist mein Anliegen, nach neuen Formaten zu suchen: die unter Hygienemaßnahmen so passieren können, dass ein Live-Erlebnis möglich ist, abseits des Konsums vor dem Bildschirm. „YVONNE SCHWEIGT / EPISODEN EINER QUARANTÄNE“ ist eine künstlerische Intervention im Öffentlichen Raum, die als Atelier-Vorstellung Schau- und Puppenspiel verbindet. Sie sucht Antworten darauf, wie sich unsere Alltagsgewohnheiten in der Quarantäne verändert haben.
Leah Wewoda: war seit 2017 in diversen Inszenierungen in Marbach und Stuttgart auf der Bühne zu sehen. Seit 2019 Studium in Berlin an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch im Studiengang „Zeitgenössische Puppenspielkunst“.
„Wir sind stark, wenn wir zusammenhalten: die Starken und Schwachen, die Jungen und Alten.„
Kurt Tucholsky
UNSERE JURY
Die fünfköpfige Jury bestand aus Marbachern, die sich alle mit Kunst in einem breiten Feld haupt- oder nebenberuflich beschäftigen.
Fabian Friedl
Hat Kunst auf Lehramt studiert, malt (Eitempera und Aquarell), fotografiert, erstellt Videos und spielt Schlagzeug. Als Moderator und Kabarettist tätig.
Dr. Gisela Hack-Molitor
Drei Sprachen und dies und das studiert, selbstständig seit über 20 Jahren als Lektorin, Publizistin, Fachautorin. Die Kunst ist Leidenschaft und Spielbein.
Kai Keller
Studierte Visuelle Kommunikation und Wirtschaftsingenieurwesen Druck, Zeitungsmacher, Verlagsleiter, Amateurschauspieler und Visual Jockey.
Mark Scheuerle
Langjähriger Vorsitzender von Südlich von Ochsen
Melanie Salzer
Schon lange und immer mit Freude beschäftigt sie sich mit den schönen Dingen im Leben – seit 20 Jahren als Kulturbeauftragte der Stadt Marbach am Neckar.